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Spaß an Pferd und Reiten

Klassisch? Barock? Iberisch? Zirkus? oder was?

Überlegungen zur Dressur, Gedanken zur Klassischen Reitkunst

Dieser Artikel wurde uns von www.wu-wei-verlag.com und www.anjaberan.de freundlicher Weise zur Verfügung gestellt.

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Vorwort:

Das Team von reiter.spass.com hat die zur Zeit noch fragwürdige Entwicklung im Turnier und Freizeitbereich der Reiterei in den letzten Jahren verfolgt. Wir möchten den angehenden und fortgeschrittenen Reitern wieder die Grundprinzipien der Reiterei und des Umgangs mit dem Lebewesen Pferd vermitteln.

  • Die Persönlichkeit des Pferdes zu achten und zu fördern.
  • Sich für den Erhalt der klassischen, auf das Individuum Pferd bezogene Ausbildung einsetzen.
  • Dass man zurück findet zu einer dem Alter und der Psyche des Pferdes angepasster Ausbildung.
  • Dass sich sowohl der Freizeit- als auch der Turniersport zum Wohle des Pferdes und nicht an persönlich motivierten Aspekten orientiert.
  • Dass die Harmonie und das "Eins werden" mit dem Pferd wieder in den Vordergrund steht und das Pferd Freude an der Arbeit mit dem Menschen findet.

Wir begrüßen es, dass sich prominente Persönlichkeiten wie Klaus Balkenhol, Heinrich Isenbart, Christine Stückelberger und andere, die die Gesellschaft Xenophon gegründet haben, für einen korrekten Umgang mit Pferden einsetzen,

Ferner ´freuen wir uns, dass der Wu Wei Verlag es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Prinzipien der klassischen Reiterei dem Menschen wieder nahe zu bringen und uns einen Grundsatzartikel zu diesem Thema zur Verfügung gestellt hat.

 

Überlegungen zur Dressur, Gedanken zur Klassischen Reitkunst

Der moderne Dressursport entwickelt sich immer mehr in eine Richtung, die Kenner der Szene nicht mehr als „klassisch“ bezeichnen mögen. Im Gegensatz dazu entwickelt sich ein Trend aus der Schicht der Freizeitreiter, die ihre Art der Dressur als „barock“ bezeichnen; sitzen diese gar auf einem Pferd spanischer oder portugiesischer Herkunft, nennt man dieselbe Dressur gerne Iberische Reitweise. Reitet jemand auf einem Lipizzaner oder Knapstrupper, wird er schnell zum Zirkusreiter abgestempelt.

Hängt die Bezeichnung der Dressur denn von der Pferderasse ab, oder eher von einem Zeitalter zu dem man sich hingezogen fühlt, oder ist man mit Frack und Zylinder automatisch ein Englischer oder Klassischer Reiter?

Gibt es überhaupt diverse Arten Dressur zu reiten?

Alle diese Fragen, hier rhetorisch gestellt, führen zu bizarren Antworten. Ich möchte daher versuchen, ein wenig Klarheit in unsere doch etwas konfuse Dressurwelt zu bringen und eine Analyse durchzuführen, die die Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpft und überraschende Fakten zu Tage fördert.

Nicht nur Pferde der iberischen Rasse beeindrucken durch Légèreté und Brillanz, wenn sie nach den Richtlinien der klassischen Reitkunst ausgebildet werden…

Piaffe mit geringer Vorwärtsbewegung. Herr Lörke, Deutschland, auf Fanal (Ostpreuße), 1948

 

Oliveira auf dem Altér Real Hengst „Soante“ in der Piaffe

Anja Beran auf dem Lusitano „Olé“ in der Piaffe

 

Zunächst einmal bedarf es der DEFINITION der TRADITIONELLEN KLASSISCHEN REITKUNST:

„Die Klassische Reitkunst ist die Fähigkeit, das Pferd durch Güte und logisch aufgebaute Übungen, die auf den Naturgesetzen von Gleichgewicht und Harmonie basieren, so auszubilden, dass es sich zufrieden und selbstbewusst dem Willen des Reiters unterwirft, ohne dass sein natürlicher Bewegungsablauf auf irgendeine Art darunter leidet.“ (Zitat aus „AUS RESPEKT!“, Seite 11)

Die Dressur ist also für das Pferd da und nicht das Pferd für die Dressur – sie hilft ihm, über viele Jahre gesund zu bleiben und seinen Reiter unbeschadet tragen zu können. Die Klassische Reitkunst ist ein Schutz für Körper und Psyche des Reitpferdes jeder Rasse. Es ist oberstes Gebot der Klassischen Reitkunst, dass der Einsatz der Reiterhilfen mehr und mehr minimiert wird!

Die Summe der Erfahrungen der alten Meister steht uns hierbei zur Verfügung, wir sind also nicht verpflichtet, uns nur an einem Reitmeister zu orientieren, sondern wir können von den Erkenntnissen aller Reitmeister profitieren!

Aufgrund oben genannter Definition wird deutlich, dass die Klassische Reitkunst weder an eine bestimmte Pferderasse gebunden ist, noch an eine bestimmte Epoche. Die erste Reitlehre wurde von Xenophon (430 - 354 v. Chr.) geschrieben und es gibt Schriften aus der Renaissance, z.B. Pluvinel (1555-1620) (Buch), aus dem Barock, z.B. Guérinière (1687-1751) (Buch), aus dem Rokoko, z.B. Marialva (1713-1789) und aus der „Neuzeit“ von Seeger (1794-1865) über Steinbrecht (1808-1885) (Buch) bis Oliveira (1924-1987) (Bücher).

Die Klassische Reitweise ist also auch nicht an eine zuordenbare Kleiderordnung gebunden. Wer reitet denn nun klassisch? Ist das was wir auf den Wettbewerbsvierecken sehen klassisch? Oder sind die Freizeitreiter die Klassiker, oder sind es nur noch die Institutionen wie Wien oder Saumur oder die Schule von Egon von Neindorff?

Fragen wir uns zunächst, ob es einen Unterschied zwischen dem modernen Turniersport und der Klassischen Reitkunst gibt?

Dazu ein Zitat von Brigadier Kurt Albrecht (1920-2005): „Der Dressurszene muss bewusst werden, dass das, was auf den Wettkampfplätzen geschieht, weit von den Idealen Klassischer Reitkunst abweicht. Sowohl Richter als auch Reiter müssen lernen, dass Dressurreiten schöne, zufriedene Pferde bedeutet und dass es nur einen Weg dorthin gibt: eine korrekte und langsame Ausbildung nach den von großen klassischen Meistern festgelegten Methoden.“ (Aus „Reitkunst im Wandel“ von Sylvia Loch.

Aufgrund des Leistungsdrucks und des Ehrgeizes Einzelner hat sich der Turniersport immer weiter von den klassischen Grundsätzen entfernt. Der versierte Beobachter erkennt das daran, dass nahezu alle Pferde im Schritt Probleme haben, sprich sie gehen Pass. Im Trab ist meist das Zusammenspiel zwischen Vorder- und Hinterbeinen nicht mehr harmonisch, die Pferde traben mit einer gebrochenen diagonalen Fußfolge. Im Galopp ist oftmals der Vierschlag zu sehen. Die Turnierreiterei ist zu einem Wettbewerb um das spektakulärste Pferd entartet. Die Mehrzahl der Turnierreiter ist demzufolge nicht als Reiter im klassischen Sinne einzustufen, obwohl hier zum Glück Ausnahmen die Regel bestätigen!

Die Klassische Reitkunst ist ein Schutz für Körper und Psyche des Reitpferdes jeder Rasse. Es ist oberstes Gebot der Klassischen Reitkunst, dass der Einsatz der Reiterhilfen mehr und mehr minimiert wird!

Wie konnte das geschehen, gibt es einen historischen Hintergrund, der diese Entwicklung begünstigt hat?

Es wurde mit kleinen Mentalitätsunterschieden in Europa früher recht ähnlich geritten, das heisst, der Deutsche z.B. ritt schon immer etwas exakter, der Franzose mit etwas mehr Leichtigkeit usw.

Viele Dinge, die uns heute fremd und antiquiert erscheinen, waren in der Kavallerieschule Hannover Gang und Gebe; z.B. die Arbeit in den Pilaren. Genau wie es heute noch teilweise in Frankreich und Portugal praktiziert wird, benutzte man die Piaffe, um die Pferde zu gymnastizieren und verlangte nicht selten 50 Tritte und mehr. Herr Stensbeck wurde beobachtet, wie er mit einem jungen Pferd fast eine halbe Stunde lang piaffiert ist. Er verlangte auch zwischendurch 154 Tritte ohne auszusetzen.

Captain Kitt schrieb 1936: „Herr Oberstleutnant Gerhard zeigte mir die Arbeit in den Pilaren. Er ließ „Fels“ durch eine leichte Anregung mit der Peitsche piaffieren, nahm mich unter den Arm und sagte lächelnd: „So Captain jetzt gehen wir frühstücken, und wenn wir zurückkommen, wird Fels noch piaffieren.“
Damit ging er mit mir rund um die Reitbahn, ungefähr fünf Minuten lang, während „Fels“ in feierlicher Haltung und hoher Aktion prachtvoll piaffierte.

Durch das Kommando „Halt“, das Pferd stoppend, sagte Oberstleutnant Gerhard zu mir: „Eine wunderbare gymnastische Übung!“ (Zitat aus dem Buch „Kavallerieschule Hannover“ von Carl Friedrich Mossdorf.

Auch der stete Gebrauch von Seitengängen gehörte zur täglichen Arbeit, so schrieb Felix Bürkner: „ …und namentlich die häufigen Übergänge von einer Biegung in die andere, von einem Seitengang zum anderen trugen sehr viel dazu bei, jeden Rest von festgehaltenen Rückenmuskeln durch willige Lastaufnahme mit dem jeweils inneren Hinterfuße zu beseitigen...“ (Aus „Kavallerieschule Hannover“) In all diesen Aussagen erkennt man den Geist der reinen Klassischen Lehre!

Warum hat man diesen Geist verloren?

Der moderne Dressursport entwickelte sich aus der Gebrauchsreiterei des Militärs. Er bot nicht unbedingt Platz für Kunst, sondern legte Wert auf Korrektheit und Gehorsam. Vor dem ersten Weltkrieg enthielt ein Grand Prix das Versammeln und Verlängern der Tritte bzw. Galoppsprünge, das Rückwärtsrichten, eine Hinterhandwendung und vier fliegende Galoppwechsel auf gerader Linie, am Ende musste jeder Reiter fünf Hindernisse überspringen, wozu auch ein dem Pferd entgegenrollendes Fass gehörte.

Mut, Ruhe und Gehorsam des Kavalleriepferdes sollten überprüft werden. Das Verständnis für die Dressur wandelte sich: man ging weg davon, dass Pferde am lockeren Zügel anmutig auf feinste Hilfen reagieren sollten, während sie in Küren höchster Schwierigkeit präsentiert wurden, hin dazu, dass sie sich in fester Anlehnung zeigten und in mechanischer Exaktheit festgelegte Aufgaben absolvierten.

Rapide fand das Wettkampfgeschehen um seiner selbst Willen statt, man ritt und bildete aus, nur um zu gewinnen. 1932 fanden Piaffe und Passage Einzug in den Grand Prix und 1936 wurden die Lektionen Inhalt der Prüfung, die wir noch heute in derselben Form haben.

Das Niveau der Gebrauchsreiterei ließ man dadurch weit hinter sich. Die Frage, die man sich stellen darf, lautet: Hat sich mit gestiegenem Niveau auch die Geisteshaltung der Teilnehmer und Richter gewandelt, orientierte man sich mehr hin zur Kunst oder war es bei einer starren, militärischen Sichtweise, bei erhöhten Leistungsanforderungen geblieben? Wagte man hier einen Spagat zwischen Sport und Kunst?

Um diese Frage zu beantworten, muss man zurückgehen bis ins Zeitalter des Barock.

Recherchiert man intensiv, fällt auf, dass eine Grundforderung des wohl bedeutendsten Reitmeisters der Geschichte, nämlich Francois Robichon de La Guérinière (1688-1751), vor dem sich die großen Schulen von Wien, Saumur und Hannover jahrhundertelang verbeugt haben, in den modernen Richtlinien für das Reiten nicht vorkommt. Dabei handelt es sich um das sogenannte „descente de main et de jambes“.

Was ist das?

Auf deutsch gerne mit „sinken lassen von Hand und Beinen“ übersetzt.

Die Definition von de La Guérinière lautet wie folgt:

„… sobald ein Pferd ein Ausbildungsniveau erreicht hat, auf dem es sich leicht versammeln lässt, weich im Maul und im Rücken losgelassen ist und Hankenbeugung zeigt, lässt man ihm „Bewährung“ angedeihen, das heißt Schenkel- und Zügelhilfen werden vollständig aufgegeben, während sich das Pferd weiterhin mit der gleichen Biegung und Versammlung, ohne Einbuße von Schwung, Rhythmus und Takt, weiterbewegt. Indem man während einer bestimmten Lektion für einen Moment oder – im Falle eines außergewöhnlichen Meisters – für einen längeren Zeitraum mit Hand und Bein loslässt, dankt man dem Pferd und spornt es so zu noch größerer Leistung an.“

Dies kann nur auf einem sehr gut ausgebildeten Pferd erfolgen, welches sich in jeder Gangart so sicher im Gleichgewicht befindet, dass es sich weiterhin unverändert in bester Haltung, zeitweise jeder ersichtlichen Kontrolle enthoben, bewegen kann…diese Hilfe ist eine der feinsten und nützlichsten in der Reiterei.

Das macht den Unterschied zwischen einem konventionell ausgebildeten und einem klassisch ausgebildeten Dressurpferd aus, welches schließlich brilliert! (Text aus „Reitkunst im Wandel“, von Sylvia Loch)

Es ist nicht so, dass dieser Leitsatz in Deutschland niemals Beachtung gefunden hätte, denn wenn man sich alte Fotos von Größen wie z.B. Otto Lörke ansieht, erkennt man ein praktiziertes „descente de main“. Vielmehr verhält es sich so, dass diese Forderung von La Guérinière in Vergessenheit geraten ist, zumal sie auch nicht in eine schnelle, rein erfolgsorientierte Art der Ausbildung passte. Auch Steinbrecht sprach im übrigen von einem Einstellen der Hilfen, um das Pferd zu belohnen und praktizierte somit wiederum das „descente de main“!

ALTMEISTER OTTO LÖRKE BEIM „DESCENTE DE MAIN“ – essentieller Bestandteil der Klassischen Lehre

 

Anja Beran auf Lusitanohengst Olé, der sich weiterhin trägt,obwohl seine Reiterin die Einwirkung der Hand vollkommen aufgibt und das Pferd ausschließlich am Sitz behält

 

Heute sehen wir vereinzelt Reiter am losen Zügel piaffieren, was von Turnierreitern schnell als „Zirkusreiterei“ abgetan wird. Dem ist Folgendes entgegenzusetzen:

Erstens bildete Steinbrecht, genauso wie Baucher und Fillis Pferde für den Zirkus aus, denn der Zirkus hatte früher einen sehr hohen Stellenwert und verlangte korrekt gerittene Pferde – Steinbrecht also ein Zirkusreiter?

Zweitens darf nicht übersehen werden, dass die Einerwechsel, die heute in jeder schweren Dressurprüfung vorkommen, eine Entwicklung des „Zirkusreiters“ Baucher waren und sehr lange nicht als klassische Lektion anerkannt wurden, weil man der Meinung war, dass ein Pferd in der Natur nicht von Sprung zu Sprung den Galopp wechselt; somit galt diese Übung nicht als natürlich und damit nicht als klassisch.

Reitet heute also jeder moderne Turnierreiter eine Zirkuslektion?

Ergänzend sei noch erwähnt, dass der spanische Schritt keinen Einzug in den Turniersport fand, obwohl er früher in Deutschland praktiziert wurde. Er zählt zu den „nicht-klassischen“ Übungen, wobei er nach meiner subjektiven Einschätzung denselben Grad zwischen klassisch und nicht klassisch ausfüllt wie die Einerwechsel!

Wahre Zirkusreiter gibt es heute kaum noch, doch sollten wir uns vor spöttischen Bemerkungen hüten, war der Zirkus doch um 1800 eine sehr angesehene Einrichtung und es war für Reiter eine große Ehre dort aufzutreten oder Pferde für den Zirkus auszubilden. Damit die kostbaren Zirkuspferde lange gesund blieben und ihre Vorstellungen bis ins hohe Alter gehen konnten, legte man auf eine klassische Ausbildung größten Wert, anschließend wurde das Repertoire dieser Pferde noch mit, für das Laienpublikum ansprechenden, zirzensischen Übungen angereichert, wozu z.B. das Hinknien oder Hinlegen gehörte.

Kommen wir vom Zirkus wieder zurück zur aktuellen Sportreiterei:

Der moderne Dressursport hat leider, wie bereits erwähnt, eine für die Reitkunst essentielle Erkenntnis, nämlich das „descente de main“ nicht beachtet und sich deshalb und aufgrund des bloßen Wettbewerbsgedankens von der Klassischen Reitkunst entfernt. Obwohl es im Idealfall und in der Theorie keinen Unterschied geben bräuchte, hat sich in der Praxis eine Art „Unvereinbarkeit“ entwickelt.

Wann hat man den Weg der klassischen Reitkunst verlassen?

Der Wandel begann allmählich nach 1936, und wurde weiter vorangetrieben mit der Schließung der Kavallerieschule in Hannover im zweiten Weltkrieg, als letzte staatliche Stätte für den Erhalt der Klassischen Reitlehre. Die Tendenz ging nun nicht mehr dahin, ein Pferd über Jahre hinweg zu gymnastizieren und zur Vollendung in seinem Rahmen zu führen, sondern man übte jetzt Lektionen um zu gewinnen. Der Sport folgte seiner Logik. Das führte in Deutschland dazu, dass Reiter, wie z.B. Egon von Neindorff, das Verlassen des richtigen Pfades frühzeitig erkannt haben und sich als Hüter der Klassik, vom Turniergeschehen distanziert haben.

Anja Beran auf dem jungen Trakehnerhengst „Irinocco“

Anja Beran in der Piaffe auf Lusitanohengst „Regedor“

Wie kommt es nun zu dem Begriff Barockreiter und welche Reiter könnte man dazu zählen?

Wie bereits erwähnt ist Guérinière der Reitmeister des Barockzeitalters. Wien, Saumur und Hannover waren stets ehrfürchtig bedacht, seine Lehre zu beachten. Waren die Reiter der Kavallerieschule Hannover also Barockreiter? Sind die Reiter in Wien und Saumur immer noch Barockreiter, obwohl man doch in Saumur französische Warmblutpferde reitet?

Der Begriff ist eine Modeerscheinung und keineswegs fundiert, wenn man sich vor Augen führt, warum wohl diese Bezeichnung entstanden ist: Heutzutage herrscht bei mehr und mehr Reitern eine große Unzufriedenheit über pferdeverschleißende und kraftaufwendige Dressurmethoden, dennoch möchten viele Freizeitreiter mehr als nur ausreiten. Sie möchten eine gepflegte Dressur reiten, in Harmonie mit ihrem Pferd und teilweise sogar mit höchsten Ansprüchen.

Gerade diese Menschen entdecken jetzt die klassische Lehre wieder für sich. Sie studieren die alten Bücher und finden zurück zur klassischen Reitkunst. Da sie nicht auf ganggewaltige Pferde angewiesen sind, um privat auf höchstem Niveau zu reiten, bevorzugen viele das iberische Pferd oder den Lipizzaner, allesamt sogenannte Barockpferde. Diese Freitzeitreiter versuchen die Erfahrungen der alten Reitmeister, von Pluvinel bis Steinbrecht umzusetzen, d.h. sie sind somit keineswegs Barockreiter, sondern sie pflegen das Gedankengut der ursprünglich klassischen Reiterei! Bitte, lieber Leser, verwechseln Sie diese aber nicht mit den Auswüchsen, die die so genannte Showreiterei auf langmähnigen Hengsten hervorbringt und die gerade jene in ein falsches Licht rückt, die sich wirklich auf die wahre Lehre besinnen.

Barockreiter wären also nur jene Reiter, die sich ausschließlich auf La Guérinière beziehen, die barocke Pferde reiten und sich auch in barocke Mode kleiden. Für alle anderen trifft diese Bezeichnung nicht zu!

Wer betreibt denn nun die IBERISCHE REITWEISE?

Eine iberische Reitweise ist die DOMA VAQUERA, dabei handelt es sich um eine reine Gebrauchsreiterei, die bei der Rinderarbeit benötigt wird, ihre Wurzeln liegen allerdings ebenfalls in der klassischen Lehre. Ansonsten gibt es auf der iberischen Halbinsel die DOMA CLASSICA und das ist wiederum die Klassische Lehre. Sie erscheint uns manchmal fremd, weil zum einen Elemente enthalten sind, die bei uns verloren gegangen sind, zum anderen auch weil sie natürlich in Spanien oder Portugal ein wenig der Mentalität der Menschen und dem Esprit der Pferde angepasst wurde.

Iberisch reitet also nur, wer die DOMA VAQUERA in Reinform betreibt. Die hierzulande vergessene Lehre des „descente de main“ ist fast ausschließlich noch in Frankreich und in Portugal zu finden. Das erklärt, warum viele klassische Dressurreiter sich sehr zu Portugal und Frankreich hingezogen fühlen. Dort lernen die meisten die Rasse der Lusitanos kennen und erleben deren Vorzüge. Das trägt dazu bei, dass die Lusitanos heute eine Art Renaissance erleben. Nicht zuletzt lebte in Portugal einer der größten Klassischen Reitmeister des letzten Jahrhunderts: Nuno Oliveira!

Ihm ist es zu verdanken, dass man klassisches Gedankengut heute noch an einigen wenigen Orten in Australien, auf den Philippinen, in England, in Belgien, in der Schweiz, in Costa Rica usw. vorfindet.

Es dient dem Wohle der Pferde, dass die Anhängerschaft dieser Lehre ganz allmählich größer wird.

Fassen wir zusammen:

Die Klassische Lehre orientiert sich an anerkannten alten Reitmeistern und berücksichtigt stets die Natur des Pferdes. Hervorzuheben ist ganz besonders ein Reitmeister, dem die Institutionen allergrößten Respekt zollten: La Guérinière! Er bereicherte die klassische Reitkultur um ein Vielfaches. Der Hauptverdienst liegt in der verständlichen klaren Sprache, mit der er in seinem 1729 in Paris erschienenen Werk „Ecole de Cavalerie“ das Positive der Vergangenheit zusammenfasste. Die Erfahrungen und Resultate de la Broue’s (1530-1610) sowie Newcastle’s (1592-1676) waren dabei das Hauptfundament seiner „Ecole de Cavalerie“! Schulterherein auf der Geraden sowie seine Definitionen von Pesade, Piaffe und Passage und die Vervollkommnung des klassischen Sitzes, sowie das Gebot des „descente de main et des jambes“ sind unabdingbar mit Guérinière verbunden.

Ist das Nichtbeachten des „descente de main et des jambes“ die Erklärung für die Misere des heutigen Dressursportes?
Es ist sicherlich einer der wesentlichen Gründe, denn Voraussetzung für das „descente de main et des jambes“ ist, dass die Pferde versammelt, gerade und im Gleichgewicht sind. Um dies zu erreichen, muss das Pferd über Jahre schonend aufgebaut und gymnastiziert werden. Der Ausbilder, der Pferde in diesem Sinne ausbildet, ist weit entfernt vom Geist primitiven Zwanges. Diese Philosophie verlangt Adel und großen Respekt vor der Kreatur. Der Reiter minimiert seine Hilfen, sobald das Pferd zu antworten beginnt, dadurch macht er es aufmerksam, erzielt Schwung und bringt es dazu sich selbst zu tragen. Durch die im modernen Dressursport praktizierte „feste Anlehnung“ können Verspannungen kaschiert werden und die Pferde präsentieren sich oftmals stumpf, schwunglos und ohne jede Leichtigkeit, das heißt, sie tragen sich meistens nicht selbst. Die Reiterhand wird zur Stütze, zum „fünften Bein“ des Pferdes, wahre Versammlung ist nicht mehr möglich, sondern nur noch ein Komprimieren zwischen Hand und Schenkel, was weit entfernt von der Wahrheit ist.

Aus diesem Grunde bleibt zu wünschen und zu hoffen, dass Richter, Ausbilder und Reiter bereit sind, sich diesem Problem anzunehmen und ihren Einfluss und ihr Können für das Wohl der Pferde geltend machen.

Denn die Zeit erscheint reif, um zurück zur Reitkultur zu kehren, obwohl der Turniersport, gerade die deutsche Nation, mit Erfolgen krönt, werden immer mehr Stimmen laut, die Ausbildungsmethoden und Ergebnisse kritisieren. Viele erfolgreiche Reiter sind hervorragende Athleten, technisch versiert und geschickt im Sattel, aber ihre Kenntnisse über die Reitkultur sind weit unter ihrem sportlichen Niveau, das führt dazu, dass alte Lehren mehr und mehr in Vergessenheit geraten.

Der Weg, den die Klassische Reitkunst vor sich hat, ist keine gerade, breite Straße, obwohl sie von Vorteilen geprägt ist, nein, im Gegenteil, der Weg ist steinig und schmal, denn es gilt gegen eine von Geld regierte Welt anzutreten, in der menschliche Schwächen, wie Profilierungssucht und übertriebener Ehrgeiz stark vertreten sind und der Respekt vor der Kreatur mehr und mehr schwindet.

Allerdings ist jeder von uns frei, in sich zu gehen und selbst zu entscheiden, wohin ihn sein Leben mit Pferden führen soll; auf ein Siegerpodest oder möchte er lieber dem Pferd und der alten Lehre dienen?

Wobei auch die Klassische Schule den Wettkampf, wie er ursprünglich erdacht war, nutzen könnte: zur Überprüfung der Ausbildung und als krönenden Abschluss, um zu zeigen, dass das Pferd korrekt ausgebildet wurde. Ein Umdenken bei Reitern und Richtern wäre allerdings Voraussetzung!

… sobald ein Pferd ein Ausbildungsniveau erreicht hat, auf dem es sich leicht versammeln lässt, weich im Maul und im Rücken losgelassen ist und Hankenbeugung zeigt, lässt man ihm „Bewährung“ angedeihen.

 

 

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